Es ist Mitte Juli und ich bin seit einigen Tagen der stolzeste Papa der Welt. Mein Sohn Jakob erblickte das Licht der Welt und ich bin komplett überwältigt. Ein Gefühl was einem kein Fisch der Welt geben kann. Ich habe Elternzeit für den nächsten Monat und meine Frau und ich lernen unseren Jungen gerade kennen. Es ist Sommer und die Temperaturen sind hoch. Wir haben seit einigen Tagen Temperaturen um die dreißig Grad. Das Haus heizt sich auf und wir verlegen unseren Schlafplatz ins Wohnzimmer, welches sich im Erdgeschoss befindet. Neben mir liegt das aktuelle Carphunters Magazine. Ich stöbere in der Zeitschrift und lese einige Artikel. Ja, es juckt schon wieder in den Fingern. Mir war klar, dass eine lange Auszeit nach der Geburt nicht möglich war, da ich das Fischen einfach zu sehr liebe. In weiser Voraussicht habe ich mich, wie eigentlich immer, gut vorbereitet. Habe mir während der Endphase der Schwangerschaft meiner Frau bereits eine Taktik überlegt, um kurze und gut vorbereitete Sessions zu starten. Mein Hausgewässer, eine Kiesgrube mit Mitte 20ha, wird stark von Badegästen frequentiert. Dennoch kenne ich den See gut und das warme Wetter sollte mir an diesem tiefen Baggersee in die Karten spielen. Die Strukturen sind sehr extrem, aber ich habe einen Bereich in der Nähe des Badestrandes, wo sich ein monotoner Bodenverlauf von etwa 40 Quadratmetern in 5,5m Tiefe befindet. Durch den fortgeschrittenen Sommer und durch Tauchversuche weiß ich das die Sprungschicht unterhalb der befischten Tiefe liegt.
Es ist Sontag als ich das erste Mal meinen Platz befüttere. Ich habe von meinem Boilielieferanten des Vertrauens einen Prototypen in 18mm bekommen. Es ist, gegen die Regel des Herstellers, ein Kohlenhydratboilie mit Orangenöl. Die Farbe ist Orange und die Konsistenz eher weich. Dazu fische ich noch Nußboilies in 18mm und 22mm. Wieso gerade diese Boiliesorten werden sich manche von euch fragen? Ganz einfach! Es gibt einen sehr guten Bestand an dicken und großen Brassen. Brassen haben eine Vorliebe für Fischmehle jeglicher Art. Mit einem fruchtigen und auf kohlenhydratbasis erstellten Boilie sollte ich den Plagegeistern ein wenig entgegen wirken können. Darüber hinaus wird der Boilie schnell verdaut, was dazu führt, dass selbst bei zu viel Futter die Fische nach kürzerer Zeit wieder vorbeischauen. Es fühlt sich komisch an nach ein paar Tagen meine Frau mit dem Kleinen alleine zu lassen und füttern zu gehen. Ich verteile gute 5kg des Boiliemixes. Mit dem Wurfrohr streue ich die Baits auf der monotonen Ebene. Ich habe ein gutes Bauchgefühl. Es fühlt sich richtig an! Damit ich die Fische nicht überfüttere werde ich einen Tag Pause einlegen.
Bereits am Dienstag befinde ich mich wieder zum füttern am Wasser. Wieder landen 5kg des Mixes auf der Stelle. Das Verhältnis ist 4 zu 1. Also 4kg der „Prototypen“ und 1kg der Nußboilies. Ich kann keine Anzeichen von Karpfen oder Brassen ausmachen. Ein gutes Zeichen? Naja wenigstens stehen sie nicht an der Oberfläche und sonnen sich.
Am Donnerstag steht die erste Nacht an. Gegen 16Uhr geht es los und es ist ein krasses Gefühl, wenn man die erste Nacht außerhalb verbringt, ohne Kind und ohne Frau. Einfach heftig! Aber ich war motiviert, keine Frage. Die Autofahrt ist von kribbelnden Fingern geprägt. Am Wasser angekommen laufe ich mit den Sachen zur Stelle. Es ist natürlich niemand dort, außer ein Tretbootfahrer, der sich dort festgefahren hat. Ich unterhalte mich kurz mit ihm und er schippert weiter. Während ich aufbaue stelle ich fest, dass mein Kescher, der eigentlich immer an der Rutentasche befestigt ist, nicht da war. Habe ich tatsächlich den Kescher vergessen? Ja, so ein Mist! Und nun? Ich rufe meinen Kumpel Mo (Manuel) an. Er muss in der Nähe des Sees heute Abend arbeiten. Er geht ran, Gott sei Dank, denke ich und rede mir die Situation gut. Die Ruten werden mit Schneemännern beködert.
Als Pop-Up dient ein gelber 14mm Poppi. Nachdem die Ruten liegen kommt Mo bereits angestiefelt und bringt den Kescher. Alles Safe! Man bin ich erleichtert. Nun kann nichts mehr schiefgehen. Nach kurzer Zeit kommt auch noch mein Kumpel Joe vorbei. Schön, wenn man gute Freunde hat, die einen unterstützen und begleiten. Der Abend kann starten. Es ist mittlerweile 18Uhr. Alles ist fertig. Ich stehe am Ufer und schaue aufs Wasser. Der Spot liegt vor mir und ich sehe weder springende Karpfen noch Fraßspuren. Der Wind nimmt zu und liegt nun bei etwa 40km/h. Er drückt in meine Bucht, dass lässt zu hoffen. Plötzlich sehe ich im Augenwinkel einen Schwall, der jedoch bestimmt 40m von meiner Stelle entfernt ist. Hmm, ich überlege eine Rute dorthin zu werfen. Nein! Ich vertraue auf meine Strategie. 10min nach der Sichtung läuft meine mittlere Rute ab. Das war die Rute, die ich erst umlegen wollte…. Zufall? Vielleicht auch Schicksal… Nach einem kurzen, aber intensivem Drill, landet ein toller Spiegler mit herrlicher Zeichnung in den Keschermaschen. Wahnsinn! Damit hatte ich nicht gerechnet. Ein vorbeilaufender Hundebesitzer hilf mir dabei Fotos von dem Fisch zu machen. Einfach klasse, dass ist ein Start in das Vatersein wie es besser nicht hätte laufen können.
Es sei an dieser Stelle dazu gesagt, dass der See nicht gerade viele Fische beherbergt. Also ein sogenannter „Low-Stock“! Bei ca. 25ha ungefähr 40 Fische das ist nicht viel. Ich bin so erleichtert und muss an die Worte von Christopher Paschmanns denken. Babyeffekt! Ich komme langsam zur Ruhe und genieße den Spätsommerabend. Es ist mild und der warme Wind bläst mir um die Nase. Ein einfach tolles Gefühl und nicht in Worte zu fassen. Ich habe die Rute bereits wieder liegen und lausche der Musik der benachbarten „Beachbar“. Der Abend schreitet voran und gegen 22Uhr kommt Mo nach seinem Dienst in der Gastronomie vorbei. Wir reden über Träume und Illusionen, Ziele und Bedenken. Ein alter Holzstamm dient uns als Sitzplatz. Während wir reden ertönen 2 Pieper aus meinem Carpsounder. Diese zwei Piepser entwickeln sich binnen 2 Sekunden in einen Dauerton. Ich gehe zur Rute und nehme Kontakt auf. Der Fisch scheint kampfstark zu sein. Er zieht die tiefe Kante hinunter und bleibt recht stur da unten stehen. Mit erhöhtem Druck kann ich ihn an die Oberfläche zwingen. Im Schein der Kopflampe sehe ich einen ordentlichen Spiegler und freue mich, als dieser kurze Zeit später in den Maschen des Keschers verschwindet. Auf der Abhakmatte fällt mir auf, das dieser Fisch keine Afterflosse hat. Dieses gestaltet sich bei den „Night-Shots“ als schwierig heraus, da ich bei den Fotos die besagte Flosse gerne als Griffpunkt nehme.
Wie dem auch sei. Eine unfassbare Session an einem schweren Gewässer. Ich schreibe meinem Kumpel Wilko, der zu dem Zeitpunkt in Frankreich auf Tour ist, und berichte ihm von meiner ersten Papa-Session. Er freut sich für mich und erzählt im Anschluss wie es bei ihm im Süden Frankreichs. Nachdem der Fisch versorgt ist verabschiedet sich Mo. An dieser Stelle nochmals besten Dank. Ohne deine Hilfe, sei es bei dem vergessenen Kescher oder bei dem Drill, landen und Ablichten des Fisches. Top! Ich begebe mich auf die Liege und ruhe mich ein wenig aus. Die Lichter der Beachbar leuchten noch und die Musik verstummt langsam. Meine Augen fallen zu und ich finde ein wenig Ruhe. Ein Piepser weckt mich und ich schaue auf die rote Diode der Funke. Es ist die linke Rute die sich meldet. Diese liegt in Ufernähe. Es ist 2Uhr nachts und ich bin müde. Ich hatte eine ruhige Nacht erwartet, dass es aber so gut läuft, damit hatte ich im Vorfeld nicht gerechnet. Plötzlich wird aus dem einzelnen Piepen ein Dauerton. Wieder stehe ich am Ufer und drille einen Fisch. Der Kampf zieht sich in die Länge und ich habe einen guten Gegner am Ende der Schnur hängen. Zum Schluss gewinne ich das Duell und kann eine weiteren guten Spiegler in die Maschen des Keschers führen. Mein Nightshot-Equipment ist schnell aufgebaut und ich starte das „Shooting“. Komisch, der Funkfernauslöser funktioniert nicht und es gelingt mir nicht den Autofokus einzustellen. Nach zwei Versuchen gebe ich schließlich auf, da ich den Fisch nicht unnötig belasten möchte. Ich mache 2 Fotos auf der Matte, das muss reichen.
Der Rest der Nacht verläuft ruhig. Gegen 5:30Uhr mache ich mir meinen Morgenkaffee. Dieser ist mittlerweile Pflicht und gehört so fest zum angeln dazu wie die Rute und Rolle. Gegen 7:30Uhr werde ich von einem Kontrolleur des Angelvereines besucht. Diese Person ist mir durchaus bekannt, da er mich bereits vor einem Jahr beim Vorstand wegen „wildem Campen“ angeschwärzt hat. Grundlos, da ich mein Brolly benutzt hatte und dieses erlaubt ist. Das damalige Resultat war ein Ordnungsgeld in Höhe von 30€. Der Vorstand sagte mir das ich es sportlich sehen solle. Entweder ich bezahle oder fliege aus dem Verein. Naja mal gewinnt man, mal verliert man. Dieses Mal gebe ich ihm keine Angriffsfläche. Er geht frustriert davon und ich merke wie es ihn stört. Naja Karpfenangler sind leider nicht überall willkommen, erst recht nicht im größten Angelverein Deutschlands dem BVO.
Es ist mittlerweile 8:30Uhr und brühe mir meinen zweiten morgendlichen Kaffee. Ich schaue aufs Wasser und lasse das Geschehen der letzten Nacht Revue passieren. Es war meine erfolgreichste Kurzsession an diesem Gewässer und ich bin sehr zufrieden. Gute Vorbereitung und eine kluge Taktik haben zum Erfolg geführt. Ich packe mein Tackle zusammen, setze mich in mein Auto und fahre wieder nach Hause, wo mich meine Frau mit meinem kleinen Jungen bereits erwarten.
Euer Thomas